Kannst du Risiken im Projekt wirklich managen?

delivery leadership Oct 30, 2023
 

Die meisten Unternehmen betreiben in der Softwareentwicklung kein Risikomanagement, sondern setzen auf das „Prinzip Hoffnung“. Und bekanntlich lautet eine alte Projektleiterweisheit „Die Hoffnung stirbt zuletzt - aber irgendwann stirbt sie“. Insofern klingt diese Kombination nicht nach einem Erfolgsrezept und ich möchte in diesem Beitrag ein paar Tipps teilen, wie du das Heft des Handelns in der Hand behältst.

Im Projektgeschäft sehe ich immer wieder eine Reihe von Fehlern, die merkwürdigerweise oft akzeptiert werden, obwohl so gut wie niemand diese Fehler im Privaten begehen würde. Daher will ich diese Fehler an einem Beispiel erläutern, was eher dem privaten Lebensbereich zuzuordnen ist. Nehmen wir daher an, dass du mit deinen Kindern einen Tag in Disneyland Paris verbringen möchtest und die Reise Frankfurt - Paris mit der Bahn durchführen möchtest.

Typischer Fehler 1: Kein Risikomanagement. Ja, es gibt sie, die Softwareentwicklungsprojekte, in denen niemand einen Gedanken an Risiken verschwendet. Du überlegst nicht, ob dein Zug Verspätung haben könnte. Ob deine Sitzplatzreservierung funktioniert. Ob du Eintrittskarten an der Kasse bekommst. Ob du ohne Kreditkarte alle Einkäufe im Disneyland tätigen kannst. Du gehst mit deiner Familie einfach am Morgen zum Bahnhof. Jetzt mal ehrlich: Machst du so etwas, wenn 2 kleine Kinder neben dir stehen und sie unbedingt Mickey sehen wollen?

Typischer Fehler 2: Risikoidentifikation ohne Risikomanagement. Du überlegst (meistens zu Beginn eines Projektes), welche Risiken auf dich zukommen könnten. Du schätzt auch die Wahrscheinlichkeit und den Impact ein. Du dokumentierst deine Erkenntnisse fein säuberlich in einer Risikoliste. Und dann wirfst du nie wieder einen Blick auf diese Liste. In unserem Disneyland-Szenario: Du kennst die Risiken „Bargeldakzeptanz“ und „Zugverspätung“. Aber du nimmst keine Kreditkarte mit und prüfst nicht regelmäßig im DB Navigator, ob dein Zug Verspätung hat. Stattdessen erklärst du deinen weinenden Kindern, dass sie die Buzz Lightyear Figur nicht kaufen können, weil die Bargeldreserven erschöpft sind. Und dein Partner reagiert verständnislos, warum ihr das Feuerwerk verpassen musstet, um stattdessen 1h im Gare de l’Est auf den verspäteten Zug zu warten. Klingt irgendwie nicht so clever.

Typischer Fehler 3: Keine Handlungsoptionen. Risikomanagement gibt es nicht umsonst. Du brauchst im Projekt regelmäßig zusätzliches Budget, zusätzliche Zeit und zusätzliche Mitarbeiter, um Risiken zu verringern oder auf eingetretene Risiken reagieren zu können. Trotzdem starten viele Projekte mit einer Planung, die auf dem sogenannten „happy path“ basiert - wenn alles funktioniert wie geplant. Du nimmst dir von vornherein jegliche Möglichkeit, proaktiv zu gestalten oder auf Abweichungen zu reagieren. Im Disney-Beispiel: Nehmen wir an, ihr wollt unbedingt zur Parköffnung um 9:00 Uhr dort sein. Die erste mögliche Verbindung bringt euch um 8:50 Uhr ins Disneyland. Insofern gibt es ein gewisses Risiko, dass ihr zu spät kommt. Du könntest das Risiko proaktiv verringern, indem ihr am Vorabend fahrt und eine Nacht in der Nähe vom Disneyland übernachtet. Ja, dafür brauchst du Zeit und Geld, aber du senkst das Risiko. Oder auf der Rückreise: Der ICE hat einige Minuten Verspätung, so dass ihr die S-Bahn nach Hause verpasst. Die nächste S-Bahn fährt in 30 Minuten. Du könntest dennoch zur geplanten Uhrzeit zu Hause sein, wenn du Taxi fährst. Ja, auch das kostet Geld, und du nimmst dir diese Handlungsoption, wenn du total blank bist.

Typischer Fehler 4: Risikomanagement nur für Delivery-Risiken. Softwareentwicklung ist nicht trivial, da kann alles mögliche schief gehen. Insofern ist das Risikomanagement richtig und wichtig. Und dennoch: Delivery ist nicht alles. Welche Risiken gibt es, dass der Anwender eure Software nicht nutzt? Welche Risiken gibt es, dass eure Software das eigentliche Problem nicht löst? Gibt es Risiken, dass der Nutzen der Software nicht eintritt? Spoiler: Ja, es gibt sie, und sie gehören ebenfalls ins Risikomanagement. In unserem Disney-Beispiel: Du organisierst einen fantastischen Ausflug. Die Bahn ist pünktlich. Ihr steht vor dem Eingangstor. Deine Kinder starren dich entgeistert an. Disney? Echt jetzt? Das ist nur für kleine Kinder - wir sind doch schon groß. Wir glauben immer zu wissen, was unsere Kinder (oder Anwender) brauchen - aber wie sicher sind wir tatsächlich?

Typischer Fehler 5: Risikomanagement ohne Augenmaß. Auch beim Risikomanagement müssen Aufwand und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen. In der Regel ist es nicht sinnvoll, alle Risiken auf null zu drücken. In der Regel ist es auch nicht sinnvoll, alle drei Tage die Risikoliste mit 100 Einträgen durchzuflöhen. Analog im Disneyland: Die Absicherung gegen alle möglichen Risiken ist, nun ja, zumindest sehr teuer, über die Sinnhaftigkeit muss jeder selbst entscheiden. Und auch während des Aufenthalts muss ich nicht alle 15 Minuten prüfen, ob mein Zug fährt - eigentlich will ich ja den Tag mit der Familie genießen. Ein, zwei Blicke kurz vor der Rückreise sollten ausreichen. Risikomanagement ist kein Selbstzweck.

Wie funktioniert also Risikomanagement im Projekt? Genau wie im Privatleben! Ja, ich könnte dich mit Frameworks und Methoden zum Risikomanagement zuschmeißen. Im Kern geht es aber immer nur darum, das zu tun, was du auch als Privatmensch tust. An dieser Stelle sind meiner Meinung nach Frameworks und Methoden nur der kodifizierte gesunde Menschenverstand. Wenn ich also auf die Ursprungsfrage zurückkomme: Kannst du Risiken im Projekt wirklich managen? Ja, ganz klar. Auf die gleiche Art und Weise, wie du Risiken im Privatleben managest, kannst du es auch im Projekt tun. Ach, jetzt muss ich doch noch in die PM-Toolbox greifen. Grundsätzlich gibt es 5 Möglichkeiten, mit Risiken umzugehen:

  1. Akzeptieren. Du weißt, dass es ein Risiko gibt, und akzeptierst es. Beispielsweise könnte in Frankreich gestreikt werden und dieses Risiko akzeptierst du.
  2. Vorsorge aufbauen. Du planst eine Reserve für den Fall der Fälle ein. Geld, Zeit, Menschen, was auch immer. Vorhin hatte ich gesagt, „Taxi statt S-Bahn“. Für dieses Szenario braucht es eine Geldreserve.
  3. Transferieren / versichern. Falls das Risiko eintritt, muss ein Anderer die Auswirkungen dieses Risikos vollständig oder teilweise tragen. Eine Reiserücktrittsversicherung versichert dich gegen das Risiko, dass deine Kinder am Tag vor der Reise erkranken und ihr nicht nach Paris könnt.
  4. Abschwächen. Du überlegst dir Maßnahmen, um die Wahrscheinlichkeit und/oder die Auswirkung des Risikos abzuschwächen. Die Wahrscheinlichkeit des Risikos, dass deine Kinder nicht nach Disneyland wollen, kannst du abschwächen, indem du vorher mit ihnen sprichst. Die Auswirkung des Risikos Zugverspätung vor Parköffnung kannst du abschwächen, indem du am Vorabend anreist.
  5. Plan-B aufstellen und vorbereiten. Hier geht es in erster Linie darum, nicht unter Zeitdruck handeln oder improvisieren zu müssen. Wenn das Risiko eintritt, dass Bargeld nicht für Buzz Lightyear Figuren akzeptiert wird, ist der Plan-B eine Kreditkartenzahlung. Du bereitest den Plan-B vor, indem du eine Kreditkarte mit nach Paris nimmst.

Natürlich kannst du für ein Risiko auch mehrere dieser Möglichkeiten kombinieren. Zu guter Letzt noch ein fast philosophischer Hinweis: Wo Risiken sind, sind auch Chancen. Ja, wir sehen Risiken meistens als etwas Negatives und versuchen sie zu vermeiden oder abzuschwächen. Aber manchmal tritt ein Risiko ein - und dann liegt es an uns, mit der neuen Situation umzugehen und auch die Chancen zu suchen und zu ergreifen.

In diesem Sinne: Viel Erfolg bei der Umsetzung!

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