Lösen wir das richtige Problem?

anforderungen discovery priorisierung Dec 26, 2022
 

Eine der spannendsten Fragen, mit denen wir uns als Product Owner beschäftigen dürfen, ist aus meiner Sicht: Lösen wir das richtige Problem? Lösen wir tatsächlich das eigentliche Problem, oder doktern wir nur an den Symptomen herum? In diesem Beitrag soll es also darum gehen, dir zu zeigen, wie du die eigentlichen Probleme identifizierst. Genau wie bei einer Zwiebel musst du Schicht für Schicht entfernen, bis du beim Kern angekommen bist.

Lass uns mal mit zwei Beispielen aus dem echten Leben starten. Ein Beispiel, wie man es gerade nicht macht und ein positives und verblüffendes Beispiel.

Beispiele

Ich war vor einigen Wochen beim Arzt für eine Vorsorgeuntersuchung. Nichts Dringendes, der Termin stand schon Wochen vorher fest. Ich betrat die Praxis zum vereinbarten Zeitpunkt, wurde freundlich begrüßt und gebeten, noch einen Moment im Wartezimmer Platz zu nehmen. Wow! So etwas hatte ich vorher noch nie bei einem Arzt gesehen! Bequeme Lounge Sessel. Nette Farben. Ein virtuelles Kaminfeuer. Ein Kühlschrank mit Getränken und ein Kaffeevollautomat. Ich fühlte mich eher wie in einer Bar und weniger wie in einem Wartezimmer. Nur leider musste ich diese schöne Atmosphäre länger genießen, als ich wollte - geschlagene 45 Minuten. Und das, obwohl es eine geplante Untersuchung mit Termin war. Was nützt mir das schönste Wartezimmer, wenn ich eigentlich gar nicht dort sein möchte?

Für mich ist das ein klassisches Beispiel für „Symptom gelindert, aber das eigentliche Problem nicht gelöst“. Als Patient will ich eigentlich gar nicht warten. Jedes Wartezimmer ist insofern ein Zeichen, dass die Praxisorganisation nicht funktioniert bzw. die Zeit der Ärzte als wertvoller erachtet wird als die Zeit der Patienten.

Aber es geht auch anders. Wir haben vor einigen Jahren eine Pauschalreise unternommen. Anstrengender Flug, anschließend noch Transfer im Bus mit 50 anderen Menschen. Mir graute es schon vor der Ankunft im Hotel - bis diese Menschenmasse den ganzen Check-In-Krempel erledigt hat, würde es sicherlich eine Stunde dauern. Aber es kam anders. Wir wurden freudestrahlend vom Hoteldirektor und ca. 20 Mitarbeitern begrüßt. Wir bekamen einen Begrüßungsdrink in die Hand gedrückt und es wurden kleine Häppchen gereicht. Die Koffer wurden für uns ausgeladen und direkt vor die Zimmer gestellt. Wir waren von der ersten Minute an in Urlaubsstimmung! Und der Check-In? Ja, mussten wir auch machen. Aber es rannten nicht 50 Leute gleichzeitig zur Rezeption, sondern der Andrang verteilte sich auf 30-40 Minuten.

Clever gemacht. Ja, der Hotelier hätte auch über zusätzlich Personal an der Rezeption oder so etwas wie Online-Check-In nachdenken können. Aber das eigentliche Problem war in diesem Fall nicht der Check-In, sondern die Frage „wie kann ich mich schnellstmöglich wie im Urlaub fühlen?“ Du siehst bereits, dass eine leichte Verschiebung der Problemstellung zu völlig anderen Lösungen führen kann.

Braucht es für diese Art von Lösungen den genialen Geistesblitz? Braucht es kreative Urgesteine, die um die Ecke denken? Gibt es irgendeine Methode, um diese Art der Lösungsfindung zu systematisieren? Ja, ja und ja. Spaß beiseite - Geistesblitze und Kreativität sind immer gut, es gibt aber auch Methoden. Zwei möchte ich dir hier vorstellen. Los geht’s mit 5-Why.

5-Why-Methode

Der Name ist Programm. Du fragst fünfmal hintereinander „warum“. Ich weiß, das klingt total bescheuert und eher nach Sesamstraße — …wieso, weshalb, warum - wer nicht fragt, bleibt dumm — aber es bringt dich voran. Du kannst dir den Dialog ungefähr wie im folgenden Bild vorstellen:

Dieses Beispiel ist einerseits sehr einfach. Es zeigt aber andererseits, worauf es bei der 5-Why-Methode ankommt: Geduldig und freundlich nachfragen, bis man zum Kern der Sache kommt. Lass mich dir noch drei Hinweise mit auf den Weg geben:

  1. Die Zahl 5 ist nicht in Stein gemeißelt. Wenn du nach dreimaligem Nachfragen schon sicher bist, dass du das Kernproblem verstanden hast - brich ab. Wenn es eine 6. oder 7. Frage braucht, ist das ebenfalls in Ordnung.
  2. Du wirst dir in den Gesprächen wie ein Idiot vorkommen - wer fragt schon fünfmal „warum“. Akzeptiere das Unwohlsein, das ist normal und wird mit mehr Übung einfacher. Außerdem kannst du gerne deinen Thesaurus hervorkramen und nach Alternativen zum Wort „warum“ suchen.
  3. Diese Fragetechnik ist hervorragend geeignet, um aus initialen Anforderungen lösenswerte Probleme herauszuschälen. Du kommst von einer Lösungsidee zu oberflächlichen Problemen und schließlich zum Grundübel. Dann könnt ihr euch im Team überlegen, wie ihr dieses Übel beseitigt. Vielleicht war die ursprüngliche Anforderung genau richtig. Vielleicht habe ihr aber auch viel bessere Ideen.

So, das war’s schon mit 5-Why. Echt keine Raketenwissenschaft, du musst es nur tun.

Fischgrätendiagramm

Manchmal kennst du zwar die Beschreibung eines Problems, aber du kennst nicht die eigentlichen Problemursachen. Oder aber du kennst unheimlich viele potenzielle Problemursachen und weißt nicht, wo du den Hebel ansetzen sollst. In diesen Fällen kann dir eine Methode zur Strukturierung und zum „geleiteten Nachdenken“ helfen. Vielleicht kennst du die Methode auch bereits, ich rede vom Fischgrätendiagramm. Im Kern geht es darum, Ursache — Wirkungsbeziehungen zu erfassen und zu visualisieren. Ausgehend von der initialen Beschreibung überlegst du, welche Ursachen eine Auswirkung auf dieses Problem haben könnten. Üblicherweise versuchst du im ersten Schritt den Ursachenraum möglichst groß zu gestalten. Dabei können dir die 6 Ms helfen:

  • Mensch
  • Material
  • Maschine
  • Management
  • Methode
  • Mitwelt

Für jede dieser Dimensionen überlegst du, welche mögliche Ursache dein Problem hervorrufen oder beeinflussen könnte. Im folgenden Beispiel siehst du, welche Gründe hinter dem Symptom „Softwareabstürze“ stehen könnten, verteilt auf die 6 Dimensionen.

Im nächsten Schritt geht es darum, die relevanten Ursachen zu identifizieren und zu lösen. Es ist in der Regel nicht sinnvoll, an alle Schrauben auf einmal zu drehen. Such dir die Stellschrauben, die einerseits einen hohen Einfluss auf das Problem haben und die andererseits einfach bzw. günstig beeinflussbar sind. Die zweidimensionale Matrix kennst du bestimmt: Auf der einen Achse die Relevanz und auf der anderen Achse die Lösungsgeschwindigkeit oder -kosten.

Du merkst, auch diese Methode ist extrem simpel. Der Kniff ist hier, dass du ganz bewusst über Dimensionen nachdenkst, die dir nicht als erstes in den Kopf schießen. Als Softwerker liegt es für uns nahe, Probleme mit mehr Software zu lösen — aber manchmal ist eine Kommunikationslösung einfacher und schneller. Als Six-Sigma-Black-Belt liegt es uns nahe, Prozesse zu verbessern - aber manchmal ist es einfacher, neue und/oder schnellere Maschinen zu beschaffen. Das Fischgrätendiagramm hilft uns, über den eigenen Tellerrand hinweg zu schauen.

Lösen wir das richtige Problem? Ich hoffe es. Und ich hoffe, diese zwei Tipps helfen dir dabei, die relevanten Probleme zu treffen. Es gibt unendlich viele Probleme. Aber nicht jedes Problem muss tatsächlich gelöst werden, manchmal handelt es sich nur um ein Problemchen oder um eine Unschönheit. Mit einer klaren Fokussierung auf die relevanten Probleme sparst du Zeit und Geld und agierst darüber hinaus im Interesse deiner Anwender und deines Unternehmens.

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