So vielschichtig ist Motivation

leadership motivation May 30, 2022
 

Motivation ist eines dieser Wörter, das jeder verwendet, ohne groß drüber nachzudenken. Gleichzeitig ist es unheimlich vielschichtig und hat je nach Kontext eine etwas andere Bedeutung. In diesem Beitrag möchte ich ein wenig “Awareness” für die unterschiedlichen Situationen schaffen und dir einen einfachen Weg zeigen, in deinem Team ein Umfeld zu schaffen, dass Motivation überhaupt zulässt.

Lass uns ganz vorne anfangen... Warum solltest du dich als Product Owner überhaupt mit Motivation beschäftigen? In der Regel möchtest du ein Produkt erstellen und brauchst dafür die Hilfe deines Teams. Du möchtest also, dass dein Team etwas tut, idealerweise nicht irgendetwas Beliebiges, sondern die Dinge, die auf deine Vision einzahlen. Du willst also, dass andere Menschen etwas Bestimmtes tun, dass sie sich bewegen.

Menschen bewegen sich aus drei Gründen. Grund 1 ist Gewohnheit. Rauchen oder Zähneputzen sind schöne Beispiele hierfür, es passiert einfach. Man muss nicht drüber nachdenken oder sprechen. Der zweite Grund ist, dass Menschen sich bewegen wollen. Du willst das leckere Stück Kuchen, also bewegst du dich in die Küche. Du willst aussehen wie Arnie in seinen besten Zeiten, also gehst du ins Fitness Studio. Du willst etwas über Motivation erfahren, also bist du über diesen Beitrag gestolpert. Für den dritten Grund, warum sich Menschen bewegen, habe ich einen neuen Begriff gelernt: KITA. Nein, nicht Kindertagestätte - Kick-in-the-ass. Menschen werden getreten, gezwungen oder verpflichtet. “Mach das, sonst...” Die etwas modernere Form von direktem Zwang sind Belohnungen, z.B. in Form von Geld oder Beförderungen. “Wenn du das machst, dann...”

Im zweiten Fall spricht man auch von intrinsischer Motivation, d.h. der Auslöser für eine Bewegung kommt von innen, von dir selbst. Im dritten Fall spricht man von extrinsischer Motivation, d.h. der Auslöser kommt von außen.

Als Product Owner kannst und solltest du nur auf die intrinsische Motivation deiner Teamkollegen setzen. Warum? Drei Gründe. Der erste ist trivial: Üblicherweise gibt es keine disziplinarische Verbindung zwischen dir und deinem Team, du bist nicht der disziplinarische Vorgesetzte. Du hast schlicht nicht das formale Mandat, deine Kollegen zu etwas zu zwingen oder ihnen Belohnungen zu gewähren. Die nächsten Gründe sind allerdings viel schwerwiegender. Extrinsische Motivation musst du immer wieder machen. Erinnerst du dich? Kick-in-the-ass? Du musst immer wieder treten. Du musst immer wieder drohen. Du musst immer wieder belohnen. Kein Tritt, keine Bewegung. Willst und kannst du das immer wieder leisten? Der dritte Grund ist allerdings der Deal-Breaker. Extrinsische Motivation funktioniert gut bei kognitiv einfachen Tätigkeiten, bei denen es klare Regeln und Abläufe gibt, die nur befolgt werden müssen. Bei kreativen Tätigkeiten führt extrinsische Motivation allerdings dazu, dass die Leistung sinkt. Diffizile Probleme werden nicht schneller gelöst, wenn ein Bonus ausgelobt wird, sondern langsamer. Softwareentwicklung ist eine kognitiv anspruchsvolle, kreative Tätigkeit, hier funktionieren externe Anreize nicht.

Also intrinsische Motivation. Da haben wir direkt das nächste Problem. Wie der Name schon sagt, kommt diese Art der Motivation von innen. Du kannst intrinsische Motivation nicht von außen verordnen. “Jetzt will doch endlich, dass du aussiehst wie Arnie!” Solche Aufforderungen, Bitten oder Verordnungen funktionieren nicht. Ist hier Hopfen und Malz verloren?

Ganz so dramatisch ist die Situation auch nicht. Du könntest vier Dinge tun:

  1. Demotivation vermeiden
  2. Motivatoren verstehen
  3. Umfeld schaffen
  4. Teammitglieder verändern

Demotivation vermeiden

Bevor wir über die intrinsische Motivation deiner Teamkollegen sprechen, lohnt sich noch ein kurzer Blick auf das Gegenteil. Demotivation. Warum? Es gibt Faktoren, die aktiv zu einer Unzufriedenheit führen. Du kannst dich auf den Kopf stellen, deinen Namen tanzen und Tot und Teufel in Bewegung setzen, um Menschen zu motivieren – alle Aktionen werden ins Leere laufen, wenn du die Basics nicht im Griff hast. Ein anderer Begriff für “Basics” ist übrigens “Hygienefaktoren”.

Geld ist beispielsweise ein Hygienefaktor. Viel Geld führt nicht zu viel Motivation, aber zu wenig Geld führt zu Demotivation und Ablenkung. Nehmen wir mal an, ihr arbeitet an einem geilen Produkt. Hansi ist Feuer und Flamme uns möchtet unbedingt das gemeinsame Ziel erreichen. Allerdings verdient er so wenig, dass er morgens noch Zeitung austrägt und abends Regale auffüllt. Glaubst du, dass Hansi zu 100% bei deinem Produkt ist? Eben. Geld ist ein Hygienefaktor, deine Kollegen müssen so viel verdienen, dass sie über Geld nicht mehr nachdenken.

Daneben gibt es noch weitere Hygienefaktoren. Die wichtigsten sind

  • Unternehmenspolitik
  • Unternehmensorganisation
  • Beziehung zu Kollegen
  • Arbeitsbedingungen
  • Arbeitsplatzsicherheit

Du siehst, dass du als Product Owner diese Hygienefaktoren in den vielen Fällen nicht direkt beeinflussen kannst. Du solltest allerdings deine Antennen aufstellen und sensibilisiert sein.

Motivatoren verstehen

Nehmen wir an, dass wir ein neutrales Arbeitsumfeld haben, es gibt keine aktive Unzufriedenheit. Dann könntest du beginnen, zu verstehen, was deine Kollegen und dich motiviert. Das Schöne an Menschen ist, dass wir völlig unterschiedlich sind. Es wird dich nicht wundern, zu hören, dass unterschiedliche Menschen durch unterschiedliche Dinge motiviert werden. Lass uns diese Dinge Motivatoren nennen. Je nachdem, welchem Autor oder Forscher du gerade zuhörst, gibt es eine leicht andere Anzahl und leichte Unterschiede. Aus meiner Sicht ist das CHAMPFROGS Modell von Jurgen Appello sehr gut handhabbar. In diesem Modell gibt es 10 Motivatoren:

  • Curiosity, Wissbegierde: Ich möchte viele Dinge untersuchen, lernen und ausprobieren
  • Honor, Ehre: Meine persönlichen Werte spiegeln sich in meinem Arbeitsumfeld wider und das fördert meine Loyalität und Motivation
  • Acceptance, Anerkennung: Die Menschen um mich herum schätzen, was ich tue und wer ich bin
  • Mastery, Perfektionierung: Meine Arbeit fördert und fordert meine Kompetenzen, übersteigt aber meine Fähigkeiten nicht
  • Power, Einfluss: Es gibt genug Möglichkeiten für mich, auf das Einfluss zu nehmen, was um mich herum passiert
  • Freedom, Freiheit: Bezüglich meiner Arbeit und Verantwortung bin ich unabhängig von Anderen
  • Relatedness, Verbundenheit: Ich habe gute soziale Kontakte zu den Menschen in meinem Arbeitsumfeld
  • Order, Ordnung: Es gibt ausreichend Regeln und Vereinbarungen für eine stabile Umgebung
  • Goal, Sinnerfüllung: Mein Lebenssinn spiegelt sich auch in meiner Arbeit wider
  • Status: Meine Position ist gut und von den Menschen, die mit mir arbeiten, anerkannt

So weit, so gut. Was machst du jetzt damit? Du bringst sie in eine Reihenfolge von 1 bis 10. Welcher dieser Motivatoren ist für dich der wichtigste? Bingo, Nummer 1. Welcher Motivator kommt direkt dahinter? Voilà, Nummer 2. Und so weiter. Jetzt hast du ein ziemlich klares Bild, wie ein Umfeld aussehen muss, das dich motiviert.

Das gleiche macht ihr im Team. Dafür braucht es ein gerütteltes Maß an Vertrauen, so viel vorneweg. Aber du kannst dich auf einige Aha-Momente einstellen, wenn es euch wie Schuppen von den Augen fällt, warum manche Kollegen so handeln wie sie handeln.

Und wenn es keine vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt? Wenn du deine Kollegen nicht einfach fragen kannst, wie relevant welcher Motivator ist? Nun, dann würde ich dir empfehlen, zu generalisieren. Wie jede Generalisierung birgt das die Gefahr, dass du falsch liegst. Aber oft kommst du weiter. Den meisten Menschen sind die folgenden Motivatoren wichtig:

  • Freiheit
  • Perfektionierung
  • Sinnerfüllung

Und nun? Was machst du mit diesen Erkenntnissen?

Umfeld schaffen

Du schaffst das passende Umfeld – oder noch besser, ihr schafft als Team das passende Umfeld. Jetzt kommt Arbeit und ihr könnt diese Arbeit gerne und sinnvollerweise im Team verteilen und einplanen. Ich möchte dir gerne ein paar Anregungen geben, die ihr gerne aufgreifen und anpassen könnt.

Wenn euch die Sinnerfüllung wichtig ist, dann bist du als Product Owner besonders gefordert. Ich würde die Definition “Mein Lebenssinn spiegelt sich in meiner Arbeit wider” als Idealbild beschreiben, aber die Aussage “ich sehe einen Sinn in meiner Arbeit” als realistisch und erstrebenswert ansehen. Was ist also der Sinn eurer Arbeit? Was wollt ihr mit eurem Produkt erreichen? Wie hilft euer Produkt dem Unternehmen? Welchen Nutzen stiftet es für die Anwender? Vermutlich kann ich dich morgens um drei wecken und die Antworten kommen wie aus der Pistole geschossen. Du musst also “nur” den Sinn kontinuierlich im Team kommunizieren. Vielleicht habt ihr eine Produktvision, auf die ihr immer wieder schauen könnt. Vielleicht kannst du eure Sprintziele direkt mit dem Sinn und Nutzen des Produktes verknüpfen. Stetige Kommunikation ist hier der Schlüssel zum Erfolg.

Den Motivator Perfektionierung umschreibe ich am liebsten mit Lernen und Weiterentwicklung. Wenn euch Lernen und Weiterentwicklung wichtig ist, wie könnt ihr das in die tägliche Arbeit integrieren? Ich kann förmlich schon den Ruf nach Schulungen hören... und auch wenn ich selber Schulungen und Coachings anbiete, ist das oft der schwierigste Weg, kontinuierliches Lernen zu etablieren. Zunächst könntest du gedanklich trennen zwischen einer Weiterentwicklung des gesamten Teams und der Entwicklung einzelner Individuen. Bei ersterem geht es in erster Linie um Vertrauen, Zusammenarbeit und Effizienz. Ich gehe davon aus, dass ihr Retros durchführt. Bingo! Das ist aus meiner Sicht der beste und einfachste Weg, euch als Team weiterzuentwickeln. Ihr macht es sowieso, ihr macht es kontinuierlich, ihr kümmert euch um echte und relevante Probleme – was will man mehr? Pass nur auf, dass die Retro nicht in eine Scheinveranstaltung abgleitet. Für die Weiterentwicklung von Individuen müsst ihr schon etwas mehr tun. Wenn ihr ein neues Team mit einem neuen Produkt seid, dann habt ihr eigentlich 6-12 Monate Ruhe – neues Thema, neue Funktionalität, ggf. neue Technologie – alles prima. Aber irgendwann beherrscht ihr das Thema und die Routine setzt ein. Genau an dieser Stelle müsst ihr ansetzen, wenn euch der Motivator “Perfektionierung” wichtig ist. Aus meiner Erfahrung bringt job rotation am meisten. In der Regel hat jeder im Team so seine Nische gefunden, in der er der Experte ist. Ihr könntet aktiv daran arbeiten, derartige Themen anders zu verteilen. Ja, das ist anstrengend. Ja, ihr seid ggf. für eine gewisse Zeit nicht ganz so schnell wie vorher. Aber ihr seid motiviert und stellt euer Team auch auf eine breitere Basis.

Freiheit... die Unabhängigkeit von anderen bzw. den Entscheidungen von anderen. Wenn euch dieser Motivator wichtig ist, fangt einfach mal an, die zahlreichen “ham wa schon imma so gemacht” Regeln zu hinterfragen. Warum müssen alle spätestens um 9 Uhr mit der Arbeit anfangen? Warum müssen alle im Büro arbeiten? Warum müssen alle mit einem Windows-Rechner arbeiten? Schaut doch mal, ob die jeweilige Regel euch bei eurer Arbeit hilft oder nicht. Oft sind hier Anpassungen möglich, die leicht umzusetzen sind und die Stimmung im Team verbessern. Das andere große Thema ist die Abhängigkeit von anderen. Damit ich mit meinem Teil der Arbeit vorankomme, brauche ich eine Zuarbeit von anderen. Erfahrungsgemäß kostet das nicht nur wahnsinnig viel Zeit, sondern vor allem Nerven. Kurzfristig könntet ihr an dieser Stelle die Arbeit anders planen: Einen Block “Klärung & Abstimmung”, bei dem ihr die Abhängigkeit zu anderen habt. Einen zweiten Block “Umsetzung”, in dem ihr fokussiert und unabhängig arbeiten könnt. Damit ist das Problem zwar nicht weg, aber ihr wisst vorher, wann ihr unabhängig seid und wann nicht. Langfristig könntet ihr überlegen, wie ihr die Abhängigkeit von anderen Entscheidern oder Teams reduziert, indem ihr Entscheidungsmandate ins eigene Team holt bzw. Weitere Kompetenzen aufbaut.

Ich habe ja gesagt, es kommt Arbeit auf euch zu... Und das waren nur Anregungen zu drei Motivatoren. Geht diese Arbeit also genauso an wie die Produktentwicklung. Entwerft ein Zielbild. Priorisiert die Handlungsfelder. Arbeitet Schritt für Schritt auf euer Zielbild hin. Ihr werdet feststellen, dass kontinuierliche und sichtbare Verbesserung genauso motivierend ist, wie das perfekte Umfeld.

Teammitglieder verändern

Ihr werdet auf dieser Reise allerdings auch feststellen, dass manche Teammitglieder nicht mitziehen. Du kennst bestimmt die “alle Kinder” - Witze, z.B. “Alle Kinder fahren Achterbahn – außer Klaus, der fliegt raus.” Ihr werdet feststellen, dass die grundsätzliche Priorität der Motivatoren für die meisten Teammitglieder ähnlich ist - für einige wenige aber nicht. Wenn ihr dann daran arbeitet, das Umfeld für diese Motivatoren zu verändern, empfinden das die meisten als befriedigend – manche aber nicht. Das ist der Punkt, an dem ihr euch überlegen müsst, ob diese Kollegen in euer Team passen.

Stell dir vor, ihr seid eine Sportmannschaft. Die meisten von euch wollen in die nächste Liga aufsteigen. Ihr reißt euch im Training den Arsch auf, ihr macht zusätzlich Konditionstraining und stemmt regelmäßig Gewichte. Klaus nicht - für Klaus ist das wichtigste das gesellige Zusammensein bei einem Glas Bier nach dem Training. Ich habe Zweifel, dass dies die richtige Mannschaft für Klaus ist.

Achtung – es geht mir nicht darum, dass einige Motivatoren “richtig” sind und andere “falsch”. Du kannst das obige Beispiel auch umdrehen. Für die meisten Spieler der Mannschaft ist das Training nur der Anlass, sich anschließend auf ein Glas Bier zu treffen. Nur Klaus reißt sich im Training den Arsch auf, frisst Eisen und mach Konditionstraining. Auch diese Konstellation scheint nicht sonderlich gut und dauerhaft zu funktionieren.

Fazit

Kennst du das? Du begrüßt jemanden und fragst nach seinem Befinden und bekommst als Antwort “Muss ja”. “Muss ja”. Ich schüttele mich dabei immer. Offensichtlich hat diese Person keinerlei Motivation und freut sich nicht auf den Tag, auf die Arbeit, auf das Team. Sie arbeitet nur, weil sie gezwungen wird – in Form eines Arbeitsvertrages und der Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Wenn du solche Kollegen im Team hast, arbeiten sie selbstverständlich. Sie machen das, was ihnen gesagt wird. Aber erwarte bitte keine Eigeninitiative, kritisches Hinterfragen oder gar neue Ideen von ihnen. Aber eigentlich willst du doch Eigeninitiative und Ideen, vielleicht sogar das Zauberwort der selbstorganisierenden Teams. Nun, dafür benötigst du motivierte Teamkollegen, die genau wie du ein geiles Produkt bauen wollen. “Wollen”... nicht “müssen”, sondern “wollen”. In diesem Sinne: An die Arbeit! Und denk immer daran: Das Leben ist zu kurz, um in beschissenen Projekten zu arbeiten!

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